Eine Rezension über Politics of Difference von Anaïs Elsa Rufer.
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We often think of difference as things that pull us apart. Let’s think about difference and conflicts as spaces that we’re inhabiting»
Margo Okazawa-Rey, S. 25.
Weshalb treiben uns Unterschiede auseinander? Worauf beruhen diese Unterschiede, die wir als Räume bewohnen sollen? Wie können wir Wege finden, nicht zu unterscheiden, sondern zu verbinden? Diesen und weiteren Fragen werden im Kapitel Politics of Difference aus dem 2021 erschienen Sammelband Transitioning to Gender Equality, der von Andrea Zimmermann und Christa Binswanger herausgegeben wurde, nachgegangen.
Gender Equality, oder auch die Gleichstellung der Geschlechter, und somit die Abschaffung aller Diskriminierungsformen von Frauen und Mädchen ist ein Ziel der UNO. Transitioning to Gender Equality vereint Texte und Interviews aus unterschiedlichen Perspektiven und vielfältigen Konzepten, die alle zum Erreichen des UNO-Ziels verhelfen sollen. Die Herausgeberinnen leiten mit vier spezifischen Konzepten und Theorieansätzen in den Sammelband ein.
Sie legen besonderen Wert auf intersektionale Perspektiven, die Gender mit anderen Kategorien der Differenz wie beispielsweise race, class, disability und age verbinden. Sie kritisieren die binäre Polarisierung von «männlich» und «weiblich» sowie die diesen zugeordnete Aufteilung der Vielfalt geschlechtlicher Ausdrucksweisen und machen darauf aufmerksam, dass Fortschritte von Gender Equality schwer messbar sind. Deswegen erachten sie es als notwendig, multi-, inter- und transdisziplinäre Perspektiven mit in die Auswahl der Texte zu bringen, um die Vereinfachung von komplexen Machtstrukturen zu verhindern. Für ein Transitioning to Gender Equality, also den Wandel hin zu Geschlechtergerechtigkeit, erachten sie diese Aspekte als unabdingbar.
In dieser Rezension fokussiere ich mich auf das Interview Politics of Difference as Politics of Connection von Andrea Zimmermann mit Margo Okazawa-Rey sowie auf das Gespräch Who Intervenes? Thoughts from the Perspective of Arts and Culture Activism zwischen Rahel El-Maawi und Sarah Owens im ersten Teil des Bandes Politics of Difference.
Machtstrukturen erzeugen und verschärfen Unterschiede
Die oben genannten Grundsätze werden auch im Interview Politics of Difference as Politics of Connection, das Andrea Zimmermann mit Margo Okazawa-Rey führte, hervorgehoben. Okazawa-Rey ist emeritierte Professorin der Universität San Francisco, feministische Aktivistin und Mitbegründerin des Combahee River Collective. In den 1970er Jahren ist aus dem Combahee River Collective ein wegweisender Text über «interlocking systems of oppression» enstanden, der den Black Feminism und seine Analysen des Zusammenwirkens mehrerer Diskriminierungsstrukturen nachhaltig prägte. Heute sind diese als Theorie der Intersektionalität bekannt. Ein zentraler Teil des Interviews fokussiert darauf, Unterschiede und Machtverhältnisse zu hinterfragen und zu analysieren.
Ein Unterschied spielt nach Okazawa-Rey erst dann eine Rolle, wenn Ungleichheiten um den Unterschied strukturiert werden. Um dies zu veranschaulichen, verwendet sie folgendes Beispiel: Grundsätzlich sind und waren «Äpfel» Äpfel und «Orangen» Orangen: unterschiedliche Früchte. Durch den Kolonialismus und den daraus entstandenen Hierarchien wurden dann jedoch Äpfel den Orangen gegenüber bevorzugt. Sie erhielten Privilegien, besseren Zugang zu Institutionen und wurden mit einem besonderen Status ausgestattet. Durch die herrschenden Machtverhältnisse sind so unterschiedliche Wertungsstrukturen der zwei Früchte entstanden. Dies zeigt auf, wie Identität historisch und machtpolitisch bedingt verändert wird und so Ungleichbehandlung gerechtfertigt wird.
Margo Okazawa-Rey unterrichtete in unterschiedlichen Ländern und pflegt bis heute enge Beziehungen mit feministischen Aktivist*innen in Süd-Korea und Palästina. Politics of Difference sind dabei zentral für Okazawa-Reys Ansatz des transnationalen Feminismus. Ihr geht es dabei darum, zu verstehen, mit welchen Menschen sie an welchen Orten zu tun hat und auf welche Weise diese Menschen Unterdrückung erfahren. Dabei legt sie einen besonderen Fokus darauf, nachzuvollziehen, wie das Alltagsleben der Menschen in Palästina und Süd-Korea aussieht. Das wichtigste daran sei, die Stimmen der betroffenen Menschen in den richtigen Momenten hervorzuheben.
Intervention auf individueller Ebene
Rahel El-Maawi und Sarah Owens sind Teil des Schwarzfeministischen Netzwerks Bla*Sh und besprechen in Who Intervenes? Thoughts from the Perspective of Arts and Culture Activism über ihren gemeinsamen, intersektionalen Aktivismus und über Formen der Intervention in Kunst und Kultur, ganz nach dem Motto ‹das Private ist politisch›. Die beiden intervenieren beispielsweise mit Kinderbüchern. An einer von Bla*Sh organisierten Lesung lasen sie Kindergeschichten vor, die nicht weiss und heteronormativ sind. Sie gestalten Narrative und Figuren dabei so um, dass sich Kinder of Color in den diskriminierungssensiblen Geschichten wiederfinden können.
Laut El-Maawi ist dies ein Beispiel für eine Intervention, die auf individueller Ebene wirksam wurde. Die Menschen, die damals teilnahmen, seien nun aufmerksamer. Bla*Sh wollte danach einen Schritt weiter gehen und auf struktureller Ebene dafür sorgen, dass mehr Kinderbücher, welche Schwarze Perspektiven sicht- und erfahrbar machen, in Buchhandlungen, Bibliotheken und Schulen zur Verfügung gestellt werden. Bla*Sh plante auch, eigene Bücher zu veröffentlichen. Es mangelte ihnen dabei aber an Zeit und Ressourcen. El-Maawi schreibt, sie sei immer wieder schockiert, wie wenig Unterstützung sie für ihre Anliegen erhält und wie stark der Antrieb nach Veränderung von persönlicher Initiative abhängig ist. Sie betont, wie wichtig es ist, aktivistisch intervenierende Arbeit gemeinschaftlich leisten zu können.
Ambivalenz der (Un)Sichtbarkeit
Margo Okazawa-Rey, Rahel El-Maawi und Sarah Owens sprechen alle von ihren persönlichen Erfahrungen mit Rassismus, wie sie versuchen Klischees aufzubrechen, wie sie als Womxn of Color stigmatisiert und ausgeschlossen werden. Sie erzählen, wie sie sich ständig erklären und rechtfertigen müssen, wie sie sexualisiert und (s)exotisiert werden oder wie ihnen vermittelt wird, nicht dazu zu gehören. Sie sind unsichtbar und hypersichtbar zugleich. Sie werden übersehen, überhört und zugleich fallen sie ständig auf, weil sie als ‹anders› wahrgenommen werden.
There is a continuous stigmatization ant thereby exclusion, a ‘making of non-belonging’. Black citizens being wiped away from history. To have to justify ourselves over and over again costs a lot of energy. I think it is also a kind of wariness: I hope I am not promoting a certain stereotype, nor cliché, as a woman or Black woman»
Rahel El-Maawi, S. 48.
Sie erzählen von ihrem Aktivismus, ihren persönlichen Erfahrungen und Visionen und davon, wie wichtig Kollektive und Communities sind. Margo Okazawa-Rey plädiert dafür, gemeinschaftlich neue Visionen der Welt zu kreieren. Dafür möchte sie Existenzweisen erschaffen, die den Umgang mit Differenzen thematisieren und emanzipatorische Ansätze enthalten. Ansätze, die alte Kämpfe strategisch neu zu bewältigen suchen. Okazawa-Rey ist der Meinung, dass politics of difference, also Politiken der Differenz, nur durch politics of connection, Politiken der Affinität, möglich sind. Denn:
none of us is free or can thrive unless we all are free and thriving»
Margo Okazawa-Rey, S. 25.
Die Kraft des Kollektivs
Rahel El-Maawi erzählt im Gespräch mit Sarah Owens, wie sie es schätzt, sich mit anderen black womxn auszutauschen. Dadurch kann sie ihre persönlichen Erfahrungen de-individualisieren und in einen gesellschaftlichen Kontext setzen. Auf diese Weise hat El-Maawi eine Sprache gefunden, um auszudrücken, was ihr passiert. Durch den Dialog mit anderen findet sie Energie, Erfahrungen in Handlungen umzuwandeln, und nutzt diese, um kulturell, sozial und politisch zu intervenieren. So wie im Falle der diskriminierungssensiblen Kindergeschichten.
Alle drei finden in Kollektiven nicht nur die Kraft, gemeinsam in hartnäckigen gesellschaftlichen Strukturen zu intervenieren, sondern erfahren auch, dass es möglich ist, sich innerhalb des Kollektivs oder der Community Halt zu geben, aufeinander zu achten und einander Sorge zu tragen. Das Kollektiv entfaltet in diesem Sinne einerseits eine starke Wirkungskraft gegen aussen und andererseits bietet es nach innen Raum für gegenseitige Sorgearbeit. Die persönliche Reflexion und die Bereitschaft, sich selbst kritisch zu hinterfragen, sind wichtige Teile der Sorgearbeit. Der geführte Kampf richtet sich gegen ein System, das sich nicht ‹nur› nicht um sie kümmert, sondern sie aktiv ausgrenzen möchte (Wortham and Morris 2017). Deswegen führt an der self- und collective-care kein Weg vorbei.
Selbstfürsorge und kollektive Sorgearbeit kommen meiner Meinung nach häufig zu kurz und werden fälschlicherweise als narzisstische Beschäftigung mit der eigenen Person entpolitisiert. Ich persönlich vergesse diese so wichtige Praxis antirassistischer und feministischer Bewegungen viel zu häufig und kümmere mich erst dann um mich, wenn ich schon zusammengebrochen bin. Ich habe mir das Plädoyer der drei um (Selbst-)Sorgearbeit besonders zu Herzen genommen. Die Beiträge von Margo Okazawa-Rey, Sarah Owens und Rahel El-Maawi bieten einen vielversprechenden Vorgeschmack auf weitere Kapitel aus Transitioning to Gender Equality und ich habe grosse Lust, von weiteren Visionen, Theorien und Schwerpunkten zu lesen, die gesellschaftliche Veränderungen vorantreiben.
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Anaïs Elsa Rufer (sie/ihre) studiert Gender Studies und Geschichte an der Universität Basel. Sie arbeitet als Protokollführerin des Gemeinderats Zürich und als Schwimmlehrerin. Daneben ist sie in Theaterprojekten engagiert. Sie spielt derzeit im Jungen Theater Basel und zuletzt im selbständig produzierten Solostück «JetztNEU».
Bibliografie
El-Maawi, Rahel, and Sarah Owens, 2021. Who Intervenes? Thoughts from the Perspective of Arts and Culture Activism. In: Transitioning to Gender Equality. Edited by Christa Binswanger and Andrea Zimmermann. Transitioning to Sustainability Series 5. Basel: MDPI, S. 43–52.
Wortham, Jenna, and Wesley Morris, 2017. Still Processing: We Care for Ourselves and Others in Trump’s America. In: The New York Times Podcast.
Zimmermann, Andrea, 2021: Interview with Margo Okazawa-Rey: Politics of Difference as Politics of Connection. In: Transitioning to Gender Equality. Edited by Christa Binswanger and Andrea Zimmermann. Transitioning to Sustainability Series 5. Basel: MDPI, S. 17–26.
Bild: Die 17 Symbole der Sustainable Development Goals (SDG) der UNO, 2019 (Ausschnitt). Hier geht es zu den Nutzungsrichtlinien für die Verwendung der Grafiken der SDG.