Von Subeer Ismail. Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Seminars «Wessen Wissen? Wessen Kunst? Situiertheit, Materialität und Kritik» bei Dominique Grisard im Frühjahrsemester 2022 verfasst. Er ist Teil der Blogserie «Heute Nacht geträumt» und nimmt Bezug auf die Veranstaltung «Wer sind alle?».
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Schon als kleines Kind fühlte ich mich, als sollte ich nicht hier sein. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen weshalb.
Kunst hat mich nie angesprochen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich schon von klein auf keine wirkliche Bindung zur Kunstwelt hatte und wenn, dann auch nur, weil ich von einer Lehrperson oder Mitarbeiter*in meiner Kindertagesstätte mitgeschleppt wurde. Die Distanz zur Kunstwelt in meinem Elternhaus ist nicht verwunderlich. Wäre ich in den Neunzigern nach Europa geflüchtet, hätte ich auch andere Sorgen gehabt, als darauf zu achten, dass mein Kind Zugang zu einer Welt findet, zu der ich weder einen Bezug, noch irgendein Gefühl des Willkommenseins verspüre. Dementsprechend waren die einzigen Berührungspunkte zur Kunstwelt Musik, Kindertheater und gelegentliche Museumsbesuche. Auf die Kunstmuseumsbesuche hatte ich selten Lust, da ich (bis heute) sowieso nicht viel davon verstand. Kindertheater machten mir zwar Spass. Sie sind jedoch wohl kaum das erste Beispiel, wenn man an Kunst denkt. Musik kannte ich auch nur die, die gerade im Radio lief, oder die, die meine Eltern aus ihrer Kindheit kannten. Selber Musik machen? Kostspielig.
Ich möchte meine Ferne zur Kunstwelt jedoch nicht nur auf meine Kindheit schieben, das wäre zu einfach. Hätte ich es unbedingt gewollt, hätte es genügend Gelegenheiten gegeben, mich in dieser Welt einzufinden. Dennoch trugen meine Umstände definitiv zu meiner heutigen Ferne zur Kunst bei. Ich stelle mir vor, dass es vielen ganz ähnlich geht wie mir. Jedenfalls hoffe ich das. Deshalb stelle auch ich mir die Frage: Wer sind alle? Gehöre ich dazu?

Ich weiss es nicht. Was ich aber weiss, ist, was ich bei dieser Frage fühle. Schon als Kind gab es etwas, dass bei mir ein Gefühl der Entfremdung verursachte, wenn ich zum Beispiel am Theater Basel vorbeiging. Was es war, konnte ich mir damals nicht erklären. Ist ja nicht so, als hätte ich mich jemals an eine Oper oder ein Ballettstück mitreissen lassen. Mit der Zeit konnte ich verstehen, was dieses Gefühl ausgelöst hatte. Ich konnte mich darin nicht wiedererkennen und fühlte mich nicht angesprochen, also gab es auch wenig Gründe diese Welt verstehen zu wollen. Was auch immer dieses Theater für ein Ort war, meiner war es nicht.
Das Schöne an der Kunst ist, dass alle (wer auch immer «alle» sind) Kunst machen können. Doch machen auch alle Kunst? Wer kann es sich leisten, Kunst zu schaffen? Das meine ich nicht nur finanziell, obwohl Kunst sehr wohl teuer ist. Ich meine das auch auf die Zeit bezogen. Kunst macht, wer Geld und Zeit dazu hat. Zumindest bei institutionell anerkannter Kunst trifft das meiner Meinung nach oft zu. Wer Kunst macht, spiegelt sich in der Kunst wider. Daraus resultiert, dass die Kunstwelt durchzogen ist von der Perspektive weisser privilegierter Menschen (vor allem Männer). Dies hat einen riesigen Ausschlusscharakter. Ich fühle mich ausgeschlossen.
Mich machte es glücklich, dass wir im Kunstmuseum Basel Gegenwart die Frage, wer denn nun alle sind, besprochen haben. Im Rahmen des Workshops mit der Kunstvermittlerin Nora Sternfeld gingen wir dieser Frage nach. Meine und die Erfahrung vieler anderen scheinen nicht ganz unsichtbar zu sein. Wie sich im Gespräch herausstellte, sind eine Zielgruppe des Kunstmuseum Basels Schulklassen. In Schulklassen finden sich Kunstbegeisterte, Kunstindifferente, Kinder aus ärmeren oder Kinder aus reicheren Verhältnissen. Dort anzusetzen, um die Basler Kunstwelt inklusiver zu gestalten und den Begriff alle (wer auch immer alle sind) breiter zu fächern, erscheint mir sinnvoll. Ob diese Besuche genug sind, um Kinder und Jugendliche für die Kunst zu interessieren, wage ich zu bezweifeln. Für viele bleiben die imposanten Museumsgebäude physisch wie auch emotional weit weg von zu Hause. Das neue Gebäude des Kunstmuseum Basel hätte auf mein Kindes-Ich eher abschreckend gewirkt. Aber: Ich denke gar nicht, dass alle (wer auch immer alle sind) erreicht werden müssen. Schliesslich interessieren sich nicht alle für Kunst und das ist auch in Ordnung so.
Die Problematik eröffnet sich erst, wenn wir nach den Gründen für das Desinteresse an der Kunst suchen. Gegen Gleichgültigkeit und Desinteresse seitens der Menschen ist nichts auszurichten, doch sobald die Gleichgültigkeit von der Institution aus besteht, soll eingeschritten werden.
Wie Künstlerin Kadiatou Diallo im Rahmen einer der Diskussionsrunden im Kunstmuseum Gegenwart betont: Statt am Museum als Zentrum festzuhalten und einer imperialen Logik verhaftet zu bleiben, wäre es an der Zeit, viele informelle Zentren zu schaffen, die kommen und gehen und auch Raum bieten für Unsicherheiten und Unvorhergesehenes.
Ich denke, solange die Kunstwelt geprägt ist von dieser Exklusivität, die von der Kunstwelt und den Kunstschaffenden gepflegt wird, wird es schwierig, alle zu erreichen.
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Bild: Auffschrift des Kunstmuseums Basel an dessen Neubau (Ausschnitt). ©Privat.
Ein Gedanke zu „Die Kunstwelt existiert nicht für alle und will das auch nicht“