Von Tamea Wissmann. Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Seminars «Wessen Wissen? Wessen Kunst? Situiertheit, Materialität und Kritik» bei Dominique Grisard im Frühjahrssemester 2022 verfasst. Er ist Teil der Blogserie «Heute Nacht geträumt» und nimmt Bezug auf die Veranstaltung «Where does my body belong?».
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«Where does my body belong?» ist der Titel der Abendveranstaltung im Kunstmuseum Basel | Gegenwart, in deren Rahmen Henri Yéré, Dichter und Dozent an der Universität Basel, eine Aussage tätigt, die den Nagel mitten auf den Kopf trifft:
It’s interesting how things in our world are pre-organized without us knowing».
Kurz zuvor hatte Medienforscherin Lucie Kolb in der Veranstaltung darauf aufmerksam gemacht, wie Bücher in Bibliotheken kodiert werden, damit sie mittels Schlagwörtern per Suchmaschine gefunden werden können. Fazit: Es fällt uns unglaublich schwer, Dinge zu ordnen, ohne Ausschlüsse und eigene Vorurteile zu (re)produzieren. Ein Beispiel: Geben wir in die Bibliothekssuchmaschine «Bücher von Frauen» ein, so wird uns die Maschine höchstwahrscheinlich zunächst 20 Bücher von weissen Frauen vorschlagen, bevor ein Buch von einer Schwarzen Frau aufgeführt wird. Wir suchen viel länger, wenn wir Bücher von Schwarzen Frauen suchen, anstatt solche von weissen Frauen.[1] Niemensch hat es absichtlich so eingerichtet, weshalb verhält es sich also so?
It’s interesting how things in our world are pre-organized without us knowing».
Solche Ausschlussmechanismen gilt es aufzudecken. Das Wissen um sie befähigt uns, sie peu à peu zu verändern. Aber wie können solche Mechanismen gefunden – und erst recht – verändert werden? Künstlerin Ruth Buchanan und Kurator*innen Maja Wismer und Len Schaller machen mit der Ausstellung «Heute Nacht geträumt» einen Vorschlag:
Im Vorfeld wurde kompostiert, was das Zeug hält. Beuys wurde vom obersten Stockwerk abgetragen und in den Hauptbau des Kunstmuseums verlegt. Nur noch eine kritische Beleuchtung von Beuys im untersten Stock im Kunstmuseum Gegenwart erinnert an seine langjährige Präsenz in diesen Räumen. Zum ersten Mal seit Langem konnten die Fenster wieder freigelegt werden, die jahrelang abgedeckt gewesen waren, damit die ausgestellte Kunst keinen Schaden vom Tageslicht nimmt. Als wichtiger Wegbereiter für die zeitgenössische Kunst Europas weicht Beuys nun anderen Künstler*innen und stellt einen fruchtbaren Nährboden für Neues dar. Im obersten Stockwerk befindet sich derzeitig stattdessen der «Dreamspace», ein Ort zum Luftholen und Reflektieren. Der Stock ist beinahe leer. Ein einziges Gemälde, «Heute Nacht geträumt» von Miriam Cahn, ist an der Wand zu sehen. Ein spiralförmig angeordneter, violetter Vorhang hängt mitten im Raum von der Decke. Der Vorhang ist eine Ansage an den linearen Zeitbegriff, der ebenfalls «pre-organized without us knowing» ist.
Buchanans Ausstellung «Heute Nacht geträumt» ist ein organischer Prozess der Erneuerung für das Kunstmuseum Gegenwart. Für Buchanan sind Museen situierte Orte, die sich nicht beliebig irgendwo anders hin verpflanzen lassen. Jedes Museum hat einen eigenen Charakter, eine eigene Geschichte, mit denen es zu arbeiten gilt. Da ist beispielsweise auch dieser eine Raum, der mich als Besucherin beim ersten Betreten schier zu erschlagen drohte. Er ist riesig, mit hohen Decken, vieleckig. Ich kann mich darin kaum orientieren. Hinzu kommt, dass die Wände im Zuge von Buchanans Ausstellung über und über behängt sind mit Bildern. Der Raum ist eine visuelle Überforderung. Buchanan arbeitet damit und entwirft eine riesige pinke Rampe, von der aus der Raum leicht erhöht betrachtet werden kann. Diese Erhöhung und der damit verbundene Perspektivenwechsel schaffen plötzlich wieder Platz zum Atmen.
Kritik kommt an jenem Abend von der Kuratorin Clémentine Deliss. Sie kritisiert, dass die Ausstellung viel zu kurz greife: Wenn mensch wirklich etwas bewirken wolle, müsse die Ausstellungspraxis viel radikaler verändert werden. Das Museum müsste 24 Stunden am Tag geöffnet sein, die Ausstellungen müssten heraus aus dem Gebäude mit den sterilen weissen Wänden, unter die Leute, auf Augenhöhe.
Deliss kritisierte die Tragweite der Ausstellung. Wie weit sind Buchanan, Wismer, Schaller und ihr Team denn gegangen? Sie haben Fragen gestellt, namentlich die vier Fragen, nach denen sowohl die Etagen der Ausstellung als auch die Abendveranstaltungen benannt sind:
- From what point does the contemporary begin?
- Which documents say what?
- Where does my body belong?
- Do I want to come back?
Es sind die richtigen Fragen. Noch gibt es jedoch keine wirklichen Antworten. Der überfordernde Raum hat eine pinke, wieder abbaubare Rampe bekommen, die Wände bleiben aber trotzdem steril-weiss. Der Dreamspace im obersten Stockwerk wurde vom staubig gewordenen Beuys befreit und wieder dem Tageslicht übergeben, trotzdem lädt der Raum nicht gerade zum gemütlichen Nickerchen ein.
Deliss hat recht, die grosse Revolution ist es nicht und es gibt noch viel zu tun. Aber es ist eine Sammlung wichtiger Fragen, die sich ein Museum heute unbedingt stellen muss. Und ich hoffe, in den kommenden Ausstellungen des Kunstmuseums Gegenwart Antworten auf diese Fragen anzutreffen. «Do I want to come back?» – Ja, ich denke schon.
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[1] Mit weiss und Schwarz werden hier keine biologischen Merkmale bezeichnet. Gemeint sind Menschen mit und ohne Rassismuserfahrungen. Vgl. hierzu beispielsweise «Sprachmächtig. Glossar gegen Rassismus» von Bla*Sh.
Bild: Spirale fotografiert von Tamea Wissmann.