Kunst, Rückblick, Veranstaltung

«Glo» bricht ein Gesetz

«Glo» handelt gegen ein ungeschriebenes Gesetz: Das junge Mädchen nimmt viel Raum für sich ein. Weshalb wir ihr dafür dankbar sein können.

Von Annina Michel. Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Seminars «Humor und Geschlecht» bei Dominique Grisard verfasst und nimmt Bezug auf die Ausstellung «Fun Feminism».


Ich mag sie. Dabei kann ich vorerst gar nicht wirklich sagen, warum. «Glo», die Figur im roten Kleid, mit ihren verschränkten Armen vor der Brust. Drei dieser «Glo-Figuren» standen im dritten Stock des «Kunstmuseum Basel – Gegenwart». Die drei Werke sind Teil der Ausstellung «Fun Feminism», die noch bis März 2023 feministisch-humorvolle und bislang selten gezeigte Arbeiten von Künstler*innen beheimatete.

Von allen Kunstwerken der Ausstellung hat es mir «Glo» ganz besonders angetan. Ich bewundere ihre selbstbewusste Körperhaltung. Sie nimmt sich das Recht, mitten im Raum zu stehen. Nimmt Platz ein, ohne aufdringlich zu wirken. Hat sie ihre Arme zum Trotz vor der Brust verschränkt? Ihre Ellbogen ragen weit nach vorne. Stellt sie sich schützend vor etwas? Vielleicht vor ihre eigenen Werte und Träume? Ich weiss nicht, ob ich «Glo» so lese, wie es die finnische Künstlerin Kirsi Mikkola beabsichtigt.

«Glo» von Kirsi Mikkola im Kunstmuseum Basel | Gegenwart (Ausstellungsansicht). ©Courtesy the artist und Galerie Nagel Draxler Berlin/Köln/München. Foto: Gina Folly.


Die Werkbeschreibung der Kurator*innen Claudia Müller, Senam Okudzeto, Alice Wilke und Maja Wismer gibt Aufschluss über die Arbeit der Künstler*in und warum sie in der Ausstellung «Fun Feminism» zu finden ist:

Im Verdruss über die vorherrschenden Ausschlussmechanismen in der männlich dominierten Welt der Malerei wandte sich Mikkola schliesslich der Skulptur zu. Die Künstlerin präsentiert uns ein Trio dieser Figur, die unschuldig, jedoch weder naiv, noch ignorant wirkt. Immer leicht trotzig, analysierend schauen sie die Betrachter*innen an. ‹Glo› ist ein feministisches Maskottchen, das sich formal entlang der Grenzen von Kunst-, Cartoon- und Gaming-Welt bewegt»

Die finnische Künstlerin Kirsi Mikkola hat «Glo» bereits in den 1990er Jahren erschaffen und wurde damit international bekannt. In den 90er Jahren erstarkte die Riot Grrrl-Bewegung, an die Mikkolas „Glo“ erinnert. Riot Grrrls ging es darum, Mädchen als Mädchen zu stärken. Wer das Erwachsenenalter erreicht hatte und als Frau gesehen wurde, deren Handlungsspielraum war in der bürgerlichen Geschlechterordnung nur noch gering, kritisierte die Riot Grrrl-Bewegung. Deshalb setzte sie sich zum Ziel, die Lebensphase und Lebenswelt des Mädchens aufzuwerten, auszudehnen und ihr Widerstandspotential ernst zu nehmen.

«Glo» irritiert – Kirsi Mikkola kritisiert

In der Ausstellung «Fun Feminism» legten verschiedene Werke dar, weshalb Körperhaltung und Raumaneignung wichtige feministische Anliegen sind. Kirsi Mikkolas Skulptur «Glo» gehört dazu. Die Körperhaltung der als weiblich und jung gelesenen Figur schafft Verwirrung: Zum einen bedient sich «Glo» mit ihrer girly Frisur und dem niedlichen roten Kleid stereotypen Merkmalen eines jungen Mädchens. Zum anderen beansprucht die Figur mit ihrer etwas trotzigen Körperhaltung viel Platz für sich. Sie hält ihre Ellbogen nach vorne gerichtet und steht breitbeinig physisch wie symbolisch mit beiden Beinen auf dem Boden. Sie scheint sich durch nichts in dieser Welt von ihrem Weg abbringen zu lassen und wirkt dabei vollkommen überzeugt von ihrer eigenen Kraft, die sie allem entgegensetzt, was ihr in die Quere kommt. Mikkolas «Glo» wirkt beharrlich auf mich, als ob sie weiss, was sie will. Daraus schliesse ich, dass die Künstler*in mit dem Erschaffen von «Glo» Kritik an den vorherrschenden Machtverhältnissen – in der Kunst und darüber hinaus – ausüben möchte.

Müsste ich die Figur «Glo» in Worten beschreiben, wären das wohl mit Begriffen wie Beharrlichkeit, Zielstrebigkeit, Durchsetzungsvermögen, Mut, Stärke, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Alle diese Begriffe werden – sei dies in meinem eigenen Umfeld oder in der Medien-, Arbeits-, Sport-, oder Kunstwelt – gewöhnlich eher männlichen gelesenen Personen zugeschrieben. Aus Kinderbüchern und Märchen ist beispielsweise bekannt: Männliche Figuren bahnen sich zielstrebig und gegen Drachen kämpfend ihren Weg zur Prinzessin, die im Turm wartet und gerettet werden will/muss.

Literatur, Filme oder Hörbücher für und mit Kindern suggerieren oft, dass sich Mädchen fürchten, abwarten, sich wenig trauen und sich hinter anderen – stärkeren – Personen verstecken. Sie werden als soziale Wesen dargestellt, die ihre eigenen Wünsche dem Wohlbefinden anderer zuliebe zurückstecken. Mit diesen Zuschreibungen bricht «Glo».

Glo besetzt – soziale Räume aufbrechen

«Glo» verbinde ich mit ganz vielen Werten, die wir in der bürgerlichen Geschlechterordnung grundsätzlich nur zögerlich mit einem jungen Mädchen verbinden. Sie bedient sich einer Komik, die als ‹diskursiver Rahmenbruch› bezeichnet werden kann. Diese Theorie besagt, dass Komik immer in einen sozialen Rahmen eingebettet ist. Dabei wird davon ausgegangen, dass menschliches Verhalten in der Lebenswelt ständig auf sogenannte Rahmungen trifft. Von jungen Mädchen wird beispielsweise erwartet, dass sie sich und ihre Bedürfnisse zurücknehmen, anderen Raum lassen und sich niemandem in den Weg stellen. Dieses normative, also der Norm angepasste, Verhalten wird als Erwartungsrahmen bezeichnet.

Nun bricht «Glo» diesen sozialen Rahmen. Denn diese Mädchenfigur nimmt eine unerwartet kühne, dominante und selbstbewusste Körperhaltung ein. Alles Attribute, die wir grundsätzlich männlichen Personen zuschreiben. «Glo» verhält sich also nicht so, wie es von Mädchen erwartet wird. Stattdessen strahlt sie aus, wie lustvoll transgressiv Eigensinn und Eigenständigkeit sein können.

Wahrscheinlich ist es genau dieses Verhalten von «Glo» und ihr Brechen mit dem sozialen Rahmen, das mir an der Figur so gut gefällt. In meiner Interpretation des Werkes nimmt «Glo» nicht nur für sich selbst viel Raum ein. Sondern für alle Personen, die mutig, zielstrebig und stark sind, denen diese Eigenschaften aber aufgrund des sozialen Rahmens abgesprochen werden. Sie schafft einen alternativen Raum, damit ihn auch andere Menschen für sich beanspruchen können – unabhängig von Eigenschaften wie Geschlecht, Herkunft oder Alter. Es geht also um eine solidarische Haltung, die gesamtgesellschaftliche Ziele – nicht nur persönliche – erreichen will. Umso stärker wirkt «Glo» im Trio als allein. Für diese Symbolik bin ich «Glo» und ihrer Erschafferin dankbar.

Deshalb würde ich mir wünschen, dass die Figuren noch etwas mehr Aufmerksamkeit erhalten. Ausserhalb der geschlossenen und nicht allen Personen zugänglichen Räumlichkeiten des Museums könnte «Glo» auf den Strassen Basels neue Räume schaffen. Sie würde eine – zumindest für mich persönlich – wünschenswerte Abwechslung zu den zumeist männlichen, heroischen Statuen bringen. Etwas mehr Farbe und feministischer Mut würde dem öffentlichen Raum gut tun.

«Glo» schafft neue Räume und Abwechslung zu den zumeist männlichen Skulpturen im öffentlichen Raum. Collage: Annina Michel.


Annina Michel studiert Geschlechterforschung in Basel und Sportwissenschaft an der Universität Bern.


Literatur

Kunstmuseum Basel | Gegenwart, Ausstellung «Fun Feminism» (2022), Werkbeschrieb «Glo» von Kirsi Mikkola (2022).

Wirth, Ume (2017): Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart: Springer-Verlag GmbH Deutschland, S. 135.


Bild: «Glo» von Kirsi Mikkola im Kunstmuseum Basel | Gegenwart (Ausstellungsansicht). ©Courtesy the artist und Galerie Nagel Draxler Berlin/Köln/München. Foto: Gina Folly.

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