Von Ellen Magdaléna Luginbühl. Ein Kommentar zur Veranstaltung laughing-lachen-rire im Rahmen der Ausstellung Fun Feminism.
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My friends said I had the weirdest laugh and now I do not!“
„Meine Freund*innen sagten, ich hätte das merkwürdigste Lachen, und jetzt habe ich es nicht mehr!“, schreibt die User*in Jasmine R. in die Kommentarspalte von WikiHow. Der dazugehörige Artikel How to Change Your Laugh bietet eine simple, aber klare zwölfstufige Anleitung, wie das eigene Lachen verändert werden kann. Diese Anleitung irritiert vielleicht zunächst, weil Lachen meist als etwas Natürliches, Individuelles und für Personen Charakteristisches verstanden wird. Das wikiHow Tutorial und der Erfolgsbericht von Jasmine R. jedoch suggerieren, dass es sich beim Lachen wie bei einer Fremdsprache um eine Fähigkeit oder Gewohnheit handelt, die gelernt oder verändert werden kann. Das Erfolgsrezept für die Veränderung des eigenen Lachens lautet „Üben“.
Lachen lernen
Gerade zu Beginn der Veranstaltung im Kunstmuseum macht Jenny Schrödl genau das klar. Lachen ist nicht natürlich. Die Theaterwissenschaftlerin erläutert, dass Lachen zwar als natürlich wahrgenommen wird, jedoch eine Körpertechnik ist, welche erlernt wird und durch gesellschaftliche Verhältnisse geprägt ist. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die vorherrschende Geschlechterordnung, welche beeinflusst, wie gelacht wird. Lachen sei, wie andere Körpertechniken der Stimme, geschlechtlich codiert. So werden beispielsweise Stimmen und Lachen, die höher und leiser sind eher als weiblich, und tiefere und lautere eher als männlich gelesen. Je nach Geschlecht wird von Menschen also ein bestimmtes Lachen angenommen. Dieses lernen und üben wir von Kind auf. Wie wir lachen, ist also immer schon von Geschlechternormen geprägt und weckt geschlechtliche Konnotationen.
Lachen als performativer Akt
In diesem Zusammenhang erwähnt Jenny Schrödl auch die Geschlechtertheorie von Judith Butler. Butler geht von einem Verständnis von Geschlecht als historisch bedingtem gesellschaftlichem Phänomen aus. Geschlecht wird demzufolge, genauso wie das Lachen oder anderes geschlechtsspezifisches Verhalten, erlernt und geübt. Zentral in Butlers Theorie ist das Konzept der Performativität, welches sich sowohl auf gesellschaftliche Diskurse über Geschlecht als auch auf Handlungen von Gruppen und Einzelpersonen sowie Prozesse von Materialisierung bezieht. In (unserer) westlich kapitalistischen bürgerlichen Gesellschaft entsteht die Entwicklung einer Geschlechtsidentitäten laut Butler nach einem Schema, welches they die «heterosexuelle Matrix» nennt. Diese funktioniert nach einem Prinzip der Zuweisung von Menschen in die binären Kategorien «Frau» und «Mann». Sie sind binär, weil nach dieser Logik nichts ausserhalb dieser beiden Geschlechtskategorien existiert und sie zudem als sich gegenseitig vervollständigend gedacht werden. Wenn also das eine nicht zutrifft, muss zwangsläufig das andere zutreffen. Ein Dazwischen, Darüber hinaus oder Ausserhalb ist zunächst nicht wahrnehmbar. Als Grundlage dieses Geschlechtermodelles dient eine Rückberufung auf eine vermeintlich «natürlich» existierende Zweigeschlechtlichkeit. Zudem sind diese beiden Geschlechter durch ein ausschliesslich heterosexuelles Begehren aufeinander bezogen. Dies verstärkt die Vorstellung der gegenseitigen Komplementarität. Geschlechtsidentitäten, welche sich gemäss dieser Ordnung ausbilden, sind mit zahlreichen Normen verbunden, wie beispielsweise geschlechtlich codiertes Verhalten oder geschlechtlich typisches Aussehen.
Die heterosexuelle Matrix an sich ist allerdings nicht einfach gegeben. Sie muss laut Butler ständig wieder neu hergestellt werden. Ein zentrales Element zur Aufrechterhaltung der heterosexuellen Matrix ist die «performative Wiederholung». Durch die stetige Reproduktion von geschlechtsspezifischen Praktiken, Ausdruckweisen, Darstellungen und Handlungen werden diejenigen gesellschaftlichen Normen stabilisiert, welche sie zuallererst hervorgebracht haben. Anders gesagt: Menschen orientieren sich an den vergeschlechtlichten Normen ihres gesellschaftlichen Umfelds und lernen, sich entsprechend zu verhalten. Tun sie dies nicht, riskieren sie Strafen, Ausgrenzung, physische und psychische Gewalt.
Kurz: Durch viele einzelne Akte der Reproduktion von Geschlechternormen werden diese aufrechterhalten und bestätigt. Und gerade in diesen Akten der Wiederholung sieht Butler das Potenzial für die Entkräftung der gesellschaftlichen Geschlechterordnung.
Antonia Baehr lacht
Mit der Performance Rire/Laugh/Lachen von Antonia Baehr aus dem Jahr 2008 zeigt Jenny Schrödl ein Beispiel, an welchem sich Butlers Konzept der Performativität und deren Störung anschaulich aufzeigen lassen. Das Video zeigt Antonia Baehr sitzend im Scheinwerferlicht auf einer dunklen Bühne vor einem Notenständer. Sie trägt einen dunklen Anzug mit Krawatte, die kurzen Haare sind nach hinten gekämmt. Baehr beginnt ihren Auftritt mit einem tiefen hohlen Lachen. Im Laufe der Performance trägt sie die unterschiedlichsten Lacharten vor, welche sie von Partituren abliest, die von ihren Freund*innen und Verwandten geschrieben wurden. Obwohl Baehrs Auftritt ohne Witze oder Erzählung arbeitet, sondern das Lachen als Technik in den Mittelpunkt stellt, wirkt die Performance komisch und das Gelächter ansteckend.
Schrödl schreibt über Rire/Laugh/Lachen, dass Baehr durch die performative Aufführung des Lachens verschiedene Identitäten inszeniert. Sie benutzt dabei sowohl optische als auch stimmliche Strategien. Ihr Bühnenoutfit kann als typisch männlich verstanden werden, da sie einen Anzug trägt und ihre kurzen Haare nach hinten gegelt hat. Es erinnert auch an formale Kleidung, wie sie bei klassischen Konzerten (einem typisch bürgerlichen Raum) getragen wird. Durch den Akt des Lachens in verschiedenen Tonlagen und Laustärken bedient sich Baehr geschlechtlicher Codierungen und erweckt so den Eindruck von sich verändernden Geschlechtsidentitäten. Durch den bewussten Einsatz dieser Codierungen wird der technische Charakter des Lachens deutlich: das Luftholen, der Einsatz der Stimmbänder und des Bauches, der Rhythmus, die Gestik. Baehr denaturalisiert das Lachen und die damit verbundenen geschlechtlichen Konnotationen, indem sie diese Mechanismen der Herstellung von Lachen aufzeigt. Durch die Veranschaulichung verschiedener Lacharten und die sich dabei verändernden geschlechtlichen Konnotationen, eröffnet Baehr laut Schrödl einen Raum für non-binäre und queere Ausdrucksweisen geschlechtlicher Identität.
Change your laugh
Laut Judith Butler sind alle Gruppen und Einzelpersonen durch ihre performativen Handlungen an der Reproduktion der Geschlechterordnung beteiligt. Wie bereits erwähnt betont Butler jedoch auch, dass gerade in dieser Verstrickung die Handlungsmacht des Subjekts liegt.
Obwohl Gendernormen uns vorausgehen und auf uns einwirken […], sind wir selbst die Vektoren ihrer Reproduktion […].“
Butler et al. 2019, S. 38
Durch das Spiel mit den geschlechtlichen Codierungen können wir die gesellschaftlich vorgegebenen Wiederholungen stören und die Geschlechterordnung destabilisieren. Die Performance von Antonia Baehr zeigt anschaulich, wie eine performative Verwirrungsstrategie auf einer Bühne funktionieren kann. Sie bedient sich dabei einerseits visueller als auch stimmlicher Strategien des Lachens. Auch abseits der Bühne können solche Strategien der performativen Uneindeutigkeit eingesetzt werden. Alle, die lachen können, haben Zugang zu einem aktivistischen Werkzeug. Ein geschlechtsuntypisches Lachen verwirrt sowohl auf der Bühne als auch im Alltag. Abschliessend empfehle ich allen, die nun Lust haben das Potenzial des eigenen Lachens zu erproben, es mal mit der Anleitung auf WikiHow zu versuchen.
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Ellen Magdaléna Luginbühl studiert Geschlechterforschung, Medienwissenschaft und Kulturtechnik an der Universität Basel.
Literatur
Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag.
Butler, Judith & Seitz, Sergei & Wieder, Anna & Babka, Anna & Schmidt, Matthias (2019): Wenn die Geste zum Ereignis wird. Wien: Verlag Turia+Kant.
Schrödl, Jenny (2019): „Gender in Theater, Performance und Tanz der Gegenwart: Themen, Strategien, Diskurse“. In: Lehmann, Irene & Rost, Katharina & Simon, Rainer: Staging Gender- Reflexionen aus Theorie und Praxis der performativen Künste. Bielefeld: transcript Verlag, S. 47–64.
Bild: Die Skulpturengruppe A-maze-ing Laughter (2009) von Yue Minjun, aufgestellt im Morton Park in Vancouver, Canada. Fotografiert von Juda, zur Verfügung gestellt durch Pixabay.