Geschlechterforschung, Kunst, Rückblick, Veranstaltung

Kinder, Kunst und Museen – ein Spannungsverhältnis.

Dominique Grisard mit Studierenden des Kurses «Art of Intervention @Kunstmuseum Basel» (HS 2023).

Am 5. November war Familientag im Kunstmuseum Basel. Mit dabei: Studierende der Gender Studies an der Universität Basel. Unter dem Motto «Familie? Das sind wir!» konzipierten sie ein Programm, das Kindern auf spielerische und kreative Weise die Vielfalt von Familie näherbrachte. Der Andrang war immens. Von 10 bis kurz nach 16 Uhr bastelten und malten hunderte von Kindern an einem kunterbunten Familienbaum, klebten ihre Gefühle zum Thema Familie auf grosse Poster und verkleideten sich als Unterwasser-Fantasie-Familie. Ein einmaliges Erlebnis für Alle. Dieser Beitrag beleuchtet folgende Fragen: Warum gibt es den Familientag? Wie und warum wirkten Studierende der Gender Studies mit?

Was ist der Familientag? Warum gibt es ihn?

Der Familientag im Kunstmuseum Basel ist für Gross und Klein kostenlos. Das spielt eine Rolle. Zwar zahlen Kinder, bis sie 13 Jahre alt sind, ohnehin keinen Eintritt, die sie begleitenden Erwachsenen jedoch schon (ein Ausstellungsticket kostet heute zwischen SFr. 16.– bis 26.–). Nicht nur was das Portemonnaie anbelangt, ist der Familientag zugänglich. Vom Infomaterial in leichter Sprache, bunter Signaletik, Welcome Desk, Kinderwagen-Parking, Lost and Found bis zu kindergerechten Verpflegungs- und Rückzugsmöglichkeiten – an (fast) alles wurde gedacht, auch an die Jahreszeit. Der Familientag findet nämlich immer am ersten Sonntag im November statt. Meist ist das ein kalter, grauer Tag, an dem sich seine Zielgruppen, Kinder und ihre Betreuungspersonen, über ein vielfältiges, kreatives und kostenloses Programm freuen. Und sie kamen in Scharen: Eltern, Grosseltern, Sitter, Tanten, Onkel, Freund*innen und vor allem ganz, ganze viele Kinder waren da – von Zweierkonstellationen bis zu grossen Freundesgruppen.

Was den Studierenden der Gender Studies auffiel: Viele Kinder waren noch im Vorkindergartenalter, jünger als sie es erwartet hatten. Auch wurde viel Englisch, Hochdeutsch und auch andere Sprachen gesprochen. Die Studierenden führten dies auf die soziale Schicht der Besucher*innen zurück, wovon viele wohl bildungsbürgerliche «Expats» waren, denen ein Kunstmuseum und seine Regeln vertraut sind, und deren Kinder vielleicht auch schon an einer Kindervernissage oder an einem Kinderworkshop teilnahmen. Denn auch wenn es den Familientag am Kunstmuseum Basel erst seit 2018 gibt, arbeiten Kunstmuseen seit vielen Jahren mit Museumspädagog*innen zusammen, die sich in jüngster Zeit auf ausserschulische Vermittlungsformate für Kinder und Jugendliche spezialisiert haben.

Der Basteltisch: umschwärmt von Erwachsenen und Kindern. Im Hintergrund wird ein Gemälde bewacht. Foto ©Privat.


Das Kunstmuseum Basel hat einen expliziten Bildungsauftrag, der sich längst nicht nur an Studierende der Kunstgeschichte richtet, sondern zahlreiche Angebote für Kindergarten- und Primarschulklassen beinhaltet. Gleichwohl ist der Familientag etwas Besonderes: An einem Tag im Jahr steht das Museum Kopf. Ein Riesenkinderprogramm wartet auf die Besuchenden. Auf den ersten Blick scheint das Ziel klar: das Museum für Kinder öffnen, Kinder spielerisch mit Kunst vertraut machen. Doch welche Erwartungen und Annahmen stecken dahinter?

Vermittlung und Bildung als (neue) Aufgaben des Museums

Das Kunstmuseum Basel rühmt sich das älteste, öffentlich zugängliche Kunstmuseum der Welt zu sein. Damals war es einer kleinen Schicht von gelehrten Männern vorbehalten. Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts gibt es Anstrengungen, Museen neuen Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, darunter auch Kindern. Das hatte mit der wachsenden Bedeutung von Erziehung und Bildung zu tun, aber auch mit neuen Kindheitskonzepten, insbesondere dem Wandel von der Erwartung, Kinder hätten nützlich zu sein, ja zum Lebensunterhalt ihrer Familie beizutragen, hin zum Bild des unbezahlbar wertvollen, ökonomisch «nutzlosen» Kindes[1]. Auch das Stereotyp, Kinder seien von Natur aus kreativ, frei und wild – wie der*die «wilde Andere» fungieren «wilde Kinder» als Gegenbild zur zivilisieren Gesellschaft, die es erzieherisch zu zähmen gilt – trug dazu bei.

Die damals aufkommenden psychoanalytischen Entwicklungstheorien Freuds wie auch reformpädagogische Ansätze in Anschluss an Rousseau, Pestalozzi, Montessori und vielen anderen trugen dazu bei, dass Kunst als wichtige Sozialisationsinstanz von Kindern (oberer Schichten) begriffen wurde. Ein einflussreicher Befürworter der Förderung und Institutionalisierung von Kinder- und Jugendkunst war der Wiener Kunstpädagoge und Maler Franz Čižek. 1897 gründete er eine Kunstschule für Kinder ab 3 Jahren. Er ging davon aus, dass Kinder eine ihnen eigene, spontane Kreativität und Fantasie besässen, die es im Kunstunterricht lediglich zu wecken und spielerisch anzuregen gälte. Die Arbeiten seiner Schüler*innen wurden jeweils als Teil von regulären Kunstausstellungen präsentiert. Als Mitglied der Wiener Secession verfolgte Čižek damit das Ziel, die hierarchische Unterscheidung zwischen Erwachsenenkunst und Kinderkritzelei zu hinterfragen sowie Kunst in den Alltag zu integrieren[2]. Ab 1937 leistet der Kunstpädagoge Victor D’Amico am New Yorker Museum of Modern Art MoMa Pionierarbeit. Auch er war der Überzeugung, dass Kinder mit kreativem Talent geboren seien, diese jedoch von sensiblen Pädagogen gefördert werden müssen (Kinchin & O’Conner 2012, 180). Sein eintägiges Children’s Festival of Modern Art fand über 25 Jahre grossen Anklang. Ein Vorgänger des Familientags?  

Tatsächlich richteten viele Kunstmuseen Ende der 1960er, Anfang 1970er Jahre Bildungsabteilungen ein. In den letzten 20 Jahren wurde das Bildungs- und Vermittlungsangebot für Kinder weiter ausgebaut mit einer beachtlichen Bandbreite an interaktiven, altersspezifischen Formaten für Schulen und für die Freizeit. Im Unterschied zu der traditionellen Kernaufgabe des Museums, dem Bewahren, Sammeln und Präsentieren von Kunst, stehen hier weniger die Werke, sondern die Besucher*innen und ihre Bedürfnisse im Vordergrund. Vermittlungsarbeit erhält einen höheren Stellenwert und erfährt eine Professionalisierung. Heute verstehen sich Museen als «besucherorientierte Institutionen» (ICOM Schweiz und Verband der Museen der Schweiz), zu deren Aufgaben neben Bildung und Vermittlung auch das Ermöglichen eines besonderen Erlebnisses zählen.

Familie? Das sind Wir! – ein kindergerechtes Vermittlungsprogramm

Studierende der Gender Studies an der Universität Basel wirken bereits das zweite Jahr an der Gestaltung des Familientags im Kunstmuseum Basel mit. Dabei soll das im Studium erworbene Wissen über Geschlecht und Familie zur Anwendung kommen. Die Studierenden befassen sich als erstes mit dem Veranstaltungsformat «Familientag» und dem Zielpublikum Kinder. In einem zweiten Schritt lernen sie kindergerechte, partizipatorische und interaktive Vermittlungsformen kennen, um schliesslich eigene Aktivitäten zu konzipieren und umzusetzen. Kreative Ideen sind gefragt, aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit Familie. So besehen lernen Studierende eine Veranstaltung von A-Z durchzuführen, komplexe Inhalte der Geschlechterforschung herunterzubrechen und spielerisch, kreativ und partizipativ ihrem Zielpublikum näherzubringen.

2022 waren wir im Kunstmuseum Basel Gegenwart zu Gast, das zum ersten Mal am Familientag mitmachte. Gezeigt wurde die Ausstellung «Fun Feminism», mit der sich einige Studierende bereits tiefgreifend auseinandergesetzt hatten. Eine der ersten Fragen, die die Teilnehmenden des Kompetenzkurses stellten, war: Was ist mit Familie gemeint? Und: dürfen wir diese Frage, im Rahmen des Familientags kritisch aufgreifen?

Die Studierenden haben im Studium vielfältige Familienformen aus einer historischen, kulturanthropologischen wie auch sozialwissenschaftlichen Geschlechterperspektive beleuchtet. Ihnen ist klar: Was eine Familie ist, kann nicht vorausgesetzt werden. So machte sich eine Studierendengruppe daran, einen Workshop zu diesem Thema auszuarbeiten. Den Titel borgten sie vom Kinderbuch «Familie? Das sind wir!» Im ersten Teil des Workshops diskutierten sie mit den Besucher*innen anhand ausgewählter Bilder der Ausstellung, wie in diesen dominante Vorstellungen von Familie herausgefordert werden. In Anschluss an die Werkbetrachtung wurde gemeinsam ein Mind Map erstellt rund um die Fragen: «Wer, wie, was und wo gehört zu deiner Familie?» In der Diskussion wurde viel über die rechtlichen Rahmenbedingungen gesprochen, die dominante Vorstellungen von Familie stärkten und Wahlfamilien erschwerten.

Von der Idee zur Umsetzung

Dem Kunstmuseum Basel gefiel die kritische Beleuchtung von Familie derart gut, dass das Motto «Familie? Das sind wir!» 2023 von Anfang an gesetzt war. Angekündigt wurde die Veranstaltung wie folgt: «Was ist eine Familie? Was macht sie aus und wozu ist sie eigentlich gut? Wir lernen ganz unterschiedliche Lebensmodelle und Formen von (Wahl- )Familie kennen und entdecken ihre Vielfalt.» Das Angebot der Studierenden der Gender Studies war an Kinder ab 6 Jahre gerichtet. Unser Veranstaltungsort hätte nicht prominenter sein können: Im Hauptbau des Museums, gleich vor dem Museumsshop.

Die Studierenden entwickelten drei sehr unterschiedliche, sich ergänzende Aktivitäten, die sich niederschwellig mit Familie befassten. In Zusammenarbeit mit dem Museums-Marketing-Team wurde das Angebot schliesslich ansprechend angepriesen:

  1. Familie ist…?! Gemeinsam gestalten wir einen kunterbunten Familienbaum.
  2. We stick together. Ein Gefühlsparcour zum Kleben, Malen, Mitmachen.
  3. Kleider machen Leute. Lass dich inspirieren von unserer Garderobe und schlüpfe in neue Rollen.

Nach der konzeptionellen Arbeit machten sich die Studierenden an die Umsetzung: Auch wenn ein Grossteil des Materials vom Museum gestellt wurde, gab es einige Herausforderungen: Schaffen wir es, einen stabilen Kartonbaum zu basteln? Wie können wir der Vielfalt von Menschen und ihren Familien gerecht werden? Wie gross sollen die Poster des Gefühlparcours sein und wo drucken wir sie? Was gehört auf eine Fantasie-Familien-Kulisse, vor der sich Kinder verkleiden und in ihrer bunten Vielfalt inszenieren, aber auch fotografieren lassen können? Auch besprachen wir, wie wir mit Kindern und ihren Bezugspersonen umgehen wollten und wichtig: wie wir uns in anspruchsvollen oder auch unangenehmen Situationen gegenseitig unterstützen. Studierende organisierten einen Teppich und Kissen, um den hohen, kahlen Raum etwas wohnlicher zu gestalten. Für eine Ecke wurde ein Zelt vorgesehen, um Kindern eine Rückzugsmöglichkeit anzubieten. Den Studierenden war es ein grosses Anliegen, dass sich in dem so gestalteten Raum alle möglichst wohl und sicher fühlen.

Familie ist…?!

Am 5. November 2023 trafen wir uns um 9 Uhr am Hintereingang des Museums. Beim Aufbau entschieden wir definitiv, welche Aktivität wo im Raum angeboten werden soll. Eine grosse Marmorbank wurde kurzerhand in einen Basteltisch verwandelt. Schon vor 10 Uhr standen Besucher*innen vor dem Hauptbau Schlange, parkten ihre Kinderwägen im dafür designierten Parkplatz und warteten geduldig, bis sich die Türen des Museums öffneten. Der Publikumsandrang übertraf alle Erwartungen. Über 8.300 Besuchende waren da, fast doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Unser Raum, gleich rechts von der Eingangshalle gelegen, war einer der ersten, den Besucher*innen ansteuerten. Die Zeit verging wie im Nu. Am Ende schwirrte allen der Kopf.

Für die Studierenden war es schön, zu sehen, wie sich die Begleitpersonen mit den Kindern beschäftigten, aber auch wie die Kinder mit einfachen Mitteln eine Fantasiewelt kreierten und sich dabei sichtlich wohl fühlten. Sie begegneten unterschiedlichen Kindern verschiedener Altersgruppen. Während der Kontakt zu Einigen einfach hergestellt werden konnte, gestaltete sich der Austausch mit anderen zögerlicher. Sicherlich lag dies auch am grossen Andrang und Lärm, teilweise aber auch an der Haltung der erwachsenen Begleitpersonen.

Ebenfalls spannend zu sehen war, wie geplante Aktivitäten, das Sticker-Basteln beispielsweise, zwar nicht eins zu eins umgesetzt wurden, sich jedoch eine Eigendynamik entwickelte, die kaum einer Anleitung der Studierenden bedurfte, welche die Stände betreuten. Ein Beispiel hierfür war das Basteln der Blätter für den Familienbaum. Die meisten Kinder rannten sofort zum langen Bastel-Tisch und fingen von selbst an, zu zeichnen, schneiden, malen und kleben – Pailletten, Federn und vieles mehr standen zur Verfügung. Einige malten auch für sich oder bastelten eine Maske für ihr Verkleidungskostüm. Mit den Standbetreuer*innen oder ihren Begleitpersonen hingen die Kinder das fertig gebastelte Blatt an den Baum. Schon bald war dieser mit vielen bunten Blättern behangen und lud zum Bestaunen ein. Kein Wunder wurde unser Familienbaum zum Aushängeschild des Familientags auf den sozialen Medien des Kunstmuseums.

Kleider machen Leute

Anders als sonst im Kunstmuseum, durften die Kinder an diesem Tag (fast) alles anfassen und ausprobieren. Beim Verkleiden tauchten die Kinder in ihre Fantasiewelt ein und wurden dabei selbst zum Kunstwerk. Besonders beliebt war das handgenähte Meerjungfrau-Kostüm aus dem Brocki, aber auch der verrückte Hut sorgte für viel Belustigung. Die Kinder inspirierten sich gegenseitig mit ihren Verkleidungen, ohne dass dies zu Eifersucht oder Streit führte. Der Spiegel übte eine grosse Anziehungskraft auf die Kinder aus. Viele Kinder schauten sich lange darin an. Gewisse warfen sich vor dem Bühnenbild in Pose. Die Kleinen rannten gerne durch den in der Mitte der Kulisse ausgeschnittenen Bogen oder versteckten sich auch mal hinter der Kulisse. Einige wollten das Kostüm und die Rolle, die sie damit einnahmen, gar nicht mehr ablegen.

Das Verkleiden schärfte nicht nur die Selbstwahrnehmung, es stärkte eindeutig auch die Selbstbestimmung! Begleitpersonen und Standbetreuer*innen mussten sich regelrecht Strategien überlegen, wie sie die Kinder langsam wieder von den Kostümen und Rollen lösten. Körper, Spiegel und Bühnenbild wurden zu fantasiereichen Orten der Selbstwahrnehmung. Bei den Jüngeren machte bereits das schillernd-glitzernde Material der Kulisse neugierig. Sie wollten es immer wieder anfassen, die schimmernden Stoffbahnen auf ihrer Haut spüren. Wo fange ich an? Wo höre ich auf? Die Studierenden beobachteten, wie die Kostüme eine Erweiterung des Selbst aber auch das Eintauchen in eine Fantasiewelt ermöglichten.

«We stick together»-Gefühlsparcour

Familie wurde im Gefühlsparcour «We stick together» am explizitesten thematisiert. Auf vier Plakaten in Weltformat-Grösse standen kurze Fragen auf Deutsch und Englisch in Grossbuchstaben. Die Fragen wurden mit Illustrationen kombiniert, die die Studierenden dem Kinderbuch «Familie? Das sind wir!» (Felicity Brooks und Mar Ferrero, 2019) entnommen hatten. Die Poster näherten sich dem Thema Familie und Gefühle behutsam: «Wo in deinem Körper spürst du Neugierde?» Auf dem ersten Poster war neben dieser Frage der Umriss eines Kinderkörpers zu erkennen. Besucher*innen wurden eingeladen, einen oder mehrere Sticker auf dem Plakat zu verteilen. Während die meisten die Neugierde in der Bauchregion oder im Kopf der Figur verorteten, kribbelt die Neugierde bei erstaunlich vielen Kindern (und vereinzelt auch bei Erwachsenen) in den Fingern oder den Füssen. Manche Kleber landeten auch ausserhalb der Körperkonturen. Warum auch nicht?

Beim zweiten Poster wurde etwas deutlicher, worum es den Studierenden ging: «Wo fühlst du dich zuhause?» Die Kinder konnten zwischen fünf Szenarien wählen, darunter eine Blumenwiese mit einem rennenden, lachenden weissen Kind mit wehenden langen blonden Haaren und violettem Kleid, ein Freibad mit Rutschbahn, ein Klassenzimmer mit einer Schwarzen Lehrperson, die einer Gruppe Kinder diverser Haut- und Haarfarbe vorliest, und schliesslich die Illustration von «meinem Bett» mit einer erwachsenen weiblich gelesenen Person of Color, die einem dunkelhaarigen weissen Kind und seinem Stofftier vorliest. Das fünfte Feld wurde absichtlich frei gelassen, so dass die Besucher*innen eigene Sticker und Zeichnungen anbringen konnten, wenn sie sich in einem der anderen Szenarien nicht wiederfanden. Am häufigsten wurden das Schwimmbad und das Bett beklebt, wobei alle Szenarien beliebt waren und die Besuchenden sich auch nicht auf eines beschränken mussten.

Das Herzstück der Poster-Serie bildete das Plakat mit der Aussage: «In einer Familie können wir ganz verschiedene Gefühle haben und das ist okay». Die Besucher*innen konnten aus zahlreichen Gefühlen wählen, die von Illustrationen von Kindern, die diese Emotion ausdrückten, begleitet wurden. Begleitet ist vielleicht das falsche Wort, denn ein Grossteil der Kinder fühlte sich vor allem vom Bild und weniger vom abstrakten Gefühlswort affektiv angesprochen. So finden sich viele Kleber auf einem in eine rosa Kuscheldecke eingewickelten Schwarzen Kind. Es steht für Wohlfühlen. Auch auf zwei sich umarmenden dunkelhaarigen Kindern, die das Gefühl der Liebe illustrieren, wurden viele Kleber verteilt. Oder dem rothaarigen Kind mit feuerrotem Gesicht, das Feuer zu spucken scheint. Es drückt das Gefühl der Wut aus. Neben den Liebes- und Glücksgefühlen, mit der Familie in unserer Gesellschaft verbunden wird, war es den Studierenden ein Anliegen, den weniger positiven Gefühlen rund um Familie einen Platz einzuräumen und den Kindern zu zeigen, dass Familie manchmal oder auch immer mit Angst, Enttäuschung, Frust, Schmerz oder Einsamkeit zu tun haben kann.

Das vierte und letzte Plakat fragte die Besuchenden: «Wie fühlst du dich im Museum? Ordne dich auf dem Spektrum ein. Fühlst du dich müde? Voller Energie? Unsicher? Entspannt? Oder irgendwo dazwischen? Klebe dort einen Punkt auf.» Es erstaunt wenig, freut aber dennoch, dass am Familientag die meisten Punkte auf den Kindern zu finden waren, die «voller Energie» herumtollen.

Bestätigung und Herausforderung bestehender Normen

Kinder malten Unterschiedlichstes auf die Blätter des Familienbaums. Vieles hatte rein gar nichts mit «Familie» zu tun – oder vielleicht doch und es passt nicht in «unser» Konzept von Familie? Wahrscheinlicher ist aber, dass es einem Grosssteil der Kinder gar nicht klar war, dass es sich um einen «Familien»-Baum handelte, denn er war vor allem eines: ganz schön bunt und vielfältig. Auf den Plakaten, die nach den Gefühlen der Besuchenden fragte, wurden grosszügig Sticker verteilt. Unsicher? Voller Energie? Am besten gleich beides und dann noch ein paar Stickers dazwischen, dachten sich wohl viele Kinder. Besonders gut gefiel mir die Unterseewelt-Verkleidungsstation, weil sie eine unkonventionelle Kulisse bot, die obendrein noch so toll glitzterte und schimmerte. Mich haben die Kinder beeindruckt, die sich in ihren Kostümen offensichtlich so wohl fühlten, dass sie sich kaum von ihnen verabschieden wollten. Und auch wenn pinke Prinzessinnen und rosa Meerjungfrauen dominierten, inszenierten sich Kinder immer auch wieder überraschend eigensinnig und gendernonkonform.

Im Zuge der Vorbereitungen für den Familientag im Rahmen des Kompetenzkurses konnte die Vielschichtigkeit der Vermittlungsarbeit erprobt und reflektiert werden. Wie können gesellschaftliche Themen, die an der Universität und im Museum verhandelt werden, an Kinder und ihre Betreuungspersonen herangetragen werden? Was funktionierte wie geplant, was nicht? Fest steht, dass sich aus dem vorbereiteten Material eigene Dynamiken entwickelten und Dinge auch auf unvorhergesehene Weise verhandelt wurden. Unausgesprochene, nicht bedachte Normen werden durch und mit Kindern sichtbar und ihr Nutzen in Frage gestellt.

Der Familientag ist als eine von vielen Antworten auf die Fragen, wie Bildung und Kunst zusammenhängen und wie Kunstmuseen zugänglicher gemacht werden können, zu verstehen. Museen waren von und für Erwachsene des Bildungsbürgertums konzipiert, was sich bis heute in ihren ästhetischen Normen und Verhaltensregeln zeigt. Die Figur des «wilden, kreativen Kindes» fordert diese Normen und Regeln heraus. Gleichwohl fügt sie sich ein in bildungsbürgerliche Vorstellungen der Frühförderung durch Kunst.

So besehen ist der Familientag Ausdruck einer Aufwertung und Professionalisierung altersspezifischer Vermittlungsarbeit an Museen. Darunter finden sich auch differenzsensible, dekoloniale Ansätze, welche die Figur des «wilden Kindes» als Projektionsfläche grundlegend in Frage stellen. Das Potential des Familientags liegt in dieser Hinsicht im Fokus auf der Auseinandersetzung mit den Fragen, wie für eine bestimmte Gruppe von Menschen Zugang zum Museum geschaffen werden kann und inwiefern dies auch das Verständnis des Museums an sich verändert. Bezeichnend scheint, dass dies für alle Beteiligten (Museumspersonal, Eltern, Betreuende, Kinder, etc.) als notwendiges und positives Unterfangen begriffen wird.

Am Eröffnungswochenende des neuen Kunsthaus Basel-Land (13.-14.04.) auf dem Dreispitz erwartet Besucher*innen ebenfalls ein vielfältiges Kinderprogramm. Die Figur des «kreativen wilden Kindes» reflektierend, werden Ateliers wie «Wildes Wachsen» («Forme deine eigene Samenkugeln aus Ton»), «Baue Dein Traum-Kunsthaus!» und «Wünsch Dir was!» angeboten. Falls du an die Eröffnung gehst laden wir dazu ein, die hier diskutierten Themen im Hinterkopf zu behalten. Wie werden sie vom Museumspersonal angegangen und wie von den (kindlichen) Besuchenden angeeignet?


[1] Viviana A. Zelizer: Pricing the Priceless Child: The Changing Social Value of Children, Princeton University Press, 1994.

[2] Kinchin sowie O’Connor aus dem Ausstellungskatalog des Museum of Modern Art MoMa: Century of the Child: Growing by Design, 1900-2000 von Juliet Kinchin und Aidan O’Connor, 2012, S. 54. Auszüge hier.


Beitragsbild: Ein Kind und seine Begleitperson betrachten den Familienbaum. Foto: ©Privat.

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