Geschlechterforschung, Kunst, Literatur

(M)Eine Utopie

Von Aline Hagenunger. Dieser Text ist Teil der Reihe «Sailing into another future. Emanzipatorische Utopien zu Geschlecht, Sexualität und darüber hinaus».

Das folgende Gedicht entstand als Gedankenexperiment zu einer fiktiven emanzipatorischen Gesellschaft und repräsentiert für mich somit weniger eine definitive Zukunftsvision als einen Anstoss zum wiederholten eigenen Nachdenken und Hinterfragen des Alltags, den wir als selbstverständlich sehen.


Weisst du noch,
Wie es damals nach Verzweiflung roch?
Wir alle spürten ein Loch,
Das wir panisch versuchten zu füllen.
Doch wir waren nur noch leere Hüllen.
Kannst du dich noch erinnern?
Wir waren Verlierer*innen, unterdrückt von Gewinnern.
Wir gingen jeden Morgen zur Arbeit,
Wie ferngesteuert,
Verbrachten dort eine halbe Ewigkeit,
Eigentlich komplett bescheuert.
Am Ende des Tages blieb uns nichts,
Nur Müdigkeit und Erschöpfung angesichts
Des Status Quo,
Den wir still tolerierten.
Und dabei vergassen, dass wir ihn selbst definierten.
Es häuften sich Krisen über Krisen,
Es wurde immer wieder bewiesen:
Das System war schon lange gescheitert.
Wir haben uns trotzdem geweigert,
Aktiv zu werden,
Gegen diese Beschwerden.
Heute ist das kaum mehr vorstellbar
Wir leben komplett anders, frei sogar.
Wir haben uns endlich getraut,
Gemeinsam etwas zu verändern,
Hinweg über Grenzen von Ländern.
Wir haben eine neue Welt aufgebaut.
Eine ohne Diskriminierung und Hass
Alle sind gleich viel Wert – du brauchst keinen Pass.
Die alten Kategorien sind abgeschafft,
Es war viel Arbeit – wahrhaft,
Doch durch Selbstkritik und kollektive Reflexion
Haben wir hinter uns gelassen – die Fiktion,
Dass Menschen sich einteilen lassen,
In «Rassen»,
Oder gesellschaftliche Klassen,
Aufgrund derer wir uns gegenseitig hassen.
Also vergiss gender, race und class,
Allen gehören Rechte und Respekt im selben Mass.
Labels haben wir nicht mehr als wichtig empfunden,
und schliesslich komplett überwunden.
Wir alle bewohnen denselben Planeten,
Die Zukunft ist eingetreten.
Diskriminierung aufgrund von Religionen,
Steigende CO2-Emissionen,
Kolonialismus, Kapitalismus und Hunger,
Ableismus, Rassismus und Kummer,
Repression, Unterdrückung,
Umweltverschmutzung,
Sexismus, Faschismus,
Mit all dem ist nun Schluss.
Das alles gehört in die Vergangenheit,
Heute geniessen wir die Freiheit.
Keine Ausbeutung oder Lohnarbeit,
Niemand braucht mehr eine Auszeit.
Denn der Alltag bietet neu so viel Glück,
Wir wollen nie mehr zurück.
Früher schufteten wir von früh bis spät,
Heute haben wir eine andere Mentalität.
Statt Geld, Angst und Kriegen,
Gemeinsames schaffen, lachen und lieben.
Alle haben genug,
Und es gibt keinen Betrug.
Die Bildung ist es, die uns hierherbrachte,
Sie schuf neue Wege, als das alte System einkrachte.
Wir erziehen unsere Kinder zu Liebe und Toleranz,
Sie kennen keine Ignoranz.
Miteinander und der Natur in Harmonie,
und stets geleitet von der Empathie.
In Gemeinschaft und Frieden leben wir,
Und kennen keine Gier.
Heute ist klar, dass im Winter niemand friert,
Care-Arbeit haben wir kollektiviert.
Wir schauen aufeinander, lassen niemanden allein,
Wir lassen kein Baby schrei’n.
Es gibt kein Dein und kein Mein
So schön, dieses gemeinsame Dasein.
Es gibt keine Grenzen oder Nationalitäten,
Dafür sonst so viele Identitäten.
Alle drücken sich aus, wie sie wollen,
Frei von irgendwelchen Rollen.
Keine staatliche oder sonstige Autorität,
Kein Zwang zur Binarität,
Eine Vielfalt von Lebensweisen,
Die sich als wunderschön erweisen.
Es gibt keine Hierarchie,
Das ist sie, die Utopie.

Über Aline Hagenunger (sie/ihr): Ich bin 20 Jahre alt und studiere Gender Studies und Kunstgeschichte. Das Verfassen dieses Gedichtes hat mich persönlich inspiriert, indem es mich an die Möglichkeiten des kreativen Schreibens und meine eigene Freude daran erinnert hat, die im sonst so strikten, akademischen Uni-Alltag schnell vergessen geht.


Bild: Vision einer utopischen Stadt (zugeschnitten). Dieses Bild wurde mit dem Deep Dream Generator, einem KI-basierten Bildgenerator, hergestellt.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..