Film, Kunst, Rückblick

«You have to find your way to strike back». Trans Erfahrungen im Kurzfilm

Von Sophie Bürgi. Ein Rückblick auf das online Kurzfilmprogramm kuratiert von art of intervention und präsentiert auf White Frame.

«Trans Experiences» – so könnte der inhaltliche Schwerpunkt der fünf Kurzfilme von, über und mit trans Personen umschrieben werden, die Ende Oktober eine Woche lang auf der Website von White Frame zugänglich waren. Alle Filme verbindet der Fokus auf Zusammenarbeit, auf dem Weitergeben von Wissen, dem Dialog und dem Bilden von bedeut- und wirksamen Allianzen, wie ich in meiner folgenden Besprechung des Filme aufzeigen möchte.

Do it yourself: Geschlechtshormone

Zwei Werke beschäftigen sich intensiv mit den Möglichkeiten von Veränderungen, mit trans Träumen und Utopien. In «Housewives Making Drugs» (Mary Maggic, 2017) präsentieren die zwei trans Frauen Maria und Maria eine Anleitung zur Herstellung von Östrogen in einer Kochshow. Vor dem Hintergrund der Diskriminierung von trans Menschen im Gesundheitssystem ist die Möglichkeit, sich autonom und kostengünstig die notwendigen Hormone selbst herstellen zu können, eine humorvolle Utopie, die trans Weiblichkeit feiert. Die zwei Moderatorinnen sprechen uns als Zuschauer*innen direkt an, stellen die Hormone zusammen her und teilen ihr Wissen zu Gesundheit und Biologie mit uns und dem Publikum vor Ort, das enthusiastisch reagiert. Dialogizität und Zusammenarbeit in der Herstellung eines möglichst barrierefreien Zugangs zur Gesundheitsversorgung sind unabdingbar in dieser Zukunftsvision.

Housewives Making Drugs von Mary Maggic, Filmstill, 2017.


«Housewives Making Drugs» verbindet eine satirische Kritik am Gesundheitssystem und dem traditionell weissen, cis-heteropatriarchalen Format der Kochshow mit einer empowernden Utopie von geschlechtsangleichenden Hormonen für alle. Wie schön wäre es, wenn der Zugang zu gesundheitlichem Wissen und Behandlungen insbesondere für trans Personen so niederschwellig und kostengünstig wäre!

Queere Träume und Kritik

Auch «The Prince of Homburg» (P. Staff, 2019) – ein Kurzfilm inspiriert von Heinrich von Kleists gleichnamigen Drama aus dem 19. Jahrhundert – lädt dazu ein, über die bestehende Realität hinauszudenken. Oje, denke ich mir zuerst einmal, als ich den Titel sehe und mir ein verstaubtes Germanistikproseminar aus meinem Studium in den Sinn kommt, wo ich widerwillig Kleist gelesen und danach mit Leichtigkeit wieder vergessen habe. Auch für Kleist-Unkundige ist der Film jedoch ein inspirierender queerer Genuss.

The Prince of Homburg von P. Staff, Filmstill, 2019.


Im «Prinz von Homburg» sind Gefängnis, Urteil und Traum zentrale Motive – der Film interpretiert diese neu und verbindet verschiedene queeren Stimmen, die über Kriminalisierung, Schuld und Scham im Gefängnis und über historische Ereignisse wie die Aidskrise sprechen. Trans Menschen erzählen aus ihrem Leben, kritisieren gewaltvolle Verhältnisse, verwoben mit leuchtenden Farben, angenehmen Tönen und einer träumerischen Erzählweise. Diese war es, die mich – anders als damals in meinem staubtrockenen Proseminar – nun doch in den Bann des Prinzen von Homburg gezogen hat. Der Film ist einerseits durch eine traumhafte Ästhetik geprägt, die Raum für Transformation und Utopie schafft. Andererseits bleibt er in der realen Welt verankert durch die biografischen Erzählungen der queeren Menschen, die als Figuren des Films fungieren. Dieser Fokus auf das Biografische ist in den drei weiteren dokumentarischen Kurzfilmen, auf die ich nun eingehen möchte, noch stärker ausgeprägt.

Nonbinäre Selbstliebe

“When did the mirror show more love than the streets ever could?”, fragt die Erzählstimme in «My Boyfriend, Coyote / My Girlfriend, Bambi» (2022) von Coyote Park. Die Strassen sind der nonbinären Person nicht wohlgesonnen, und doch – oder gerade deswegen – werden sie im Film eingenommen, befahren. Im Spiegel sehen wir manchmal Coyote, wie they sich selbst filmt und dabei von der Verbindung zu sich und zu verschiedenen Teilen des eigenen Selbst erzählt. Coyote verbindet mehrere Sprachen und Kulturen sowie unterschiedliche Arten des Ausdrucks von Geschlecht in sich und erzählt über die eigene Sprache, die manchmal stottert, “ like a spirit trying to find form”. Dieses Stottern und die nicht lineare Erzählweise des Films sind es, was die Geschichte für mich als Zuschauerin authentisch und zugänglich macht. Biografien und Identitäten sind nicht linear, sondern fluid – sie dürfen veränderbar sein.

My Boyfriend, Coyote / My Girlfriend, Bambi von Coyote Park, Filmstill, 2022.


There are times when I don’t shift into another presentation, and it brings a great longing for another form.»

Dieser Sehnsucht, sich so zu transformieren, wie es der eigenen Identität entspricht, wird im Film auf befreiende Weise nachgegangen – sowohl in der Handlung wie auch in der experimentellen Form, die mich bewegt und beeindruckt hat. Die Liebe zu sich selbst wird zum Ausgangspunkt für Widerständigkeit gegen Diskriminierung: «I married myself long before I ever got married.» Es geht darum, sich nicht mehr klein zu fühlen oder zu machen, sondern sich entgegen der Cis-hetero-Norm widerständig und liebevoll mit allen Teilen des eigenen Selbst zu verbinden.

Prekarität und Isolation

Living Smile Vidya, Protagonistin in «don’t look into the sun» (Raphael Reichert, 2020), beschreibt ganz konkret die Beschränkungen, die sie als trans Frau im Schweizer Asylsystem erlebt. Mit dem Smartphone aufgenommene Videos der Sonne sind unterlegt mit der gesprochenen Geschichte der in Indien geborenen Schauspielerin und trans Aktivistin. «I’m so used to missing things, and I’m so used to no rights. It’s the same», vergleicht Vidya die Isolation und den Mangel an Rechten, die sie als trans Frau sowohl in Indien wie auch in der Schweiz erlebt. Sie fühlt sich sicherer in der Schweiz, gleichzeitig ist ihr Alltag jedoch von Langeweile, Isolation und Prekarität geprägt: Das Glück bleibt abwesend. Asylsuchende, so wird deutlich, befinden sich in einer Art permanentem Lockdown, wie ihn 2020 die Schweiz und viele weitere Länder erlebten: Sie fühlen sich blockiert in ihrem Leben, während sie staatliche Entscheidungen abwarten, ob sie arbeiten, wo sie sich aufhalten und ob sie bleiben dürfen.

don’t look into the sun von Raphael Reichert, Filmstill, 2020.


Szenen des Kurzfilms wurden an Orten gefilmt, die ich erkenne. Ich höre Vidya zu und sehe Bilder vom Park, in dem ich spazieren gehe oder vom Tram, mit dem ich an den Bahnhof fahre. Für mich bildete sich beim Zusehen ein Kontrast aus der vertrauten Umgebung und der erzählten Biografie, die sich so sehr von meinem eigenen Leben unterscheidet. Auf diese Weise bringt der Film die Ungerechtigkeit des Schweizer Asylsystems und die Vidyas Lebensrealität mitten in meinen Alltag. Über den geteilten Blick zur Sonne, die für uns die selbe ist, und nicht über die Person, werden Verbindungen hergestellt zwischen verschiedenen Lebensweisen, ohne einen Blick der Veranderung zu wiederholen. Die Lebensgeschichte von Vidya wird für mich sichtbar, indem mir meine eigenen Privilegien vor Augen geführt werden. Gerade die niedrigschwellige Form des Kurzfilms eignet sich für eine solche Begegnung und dieses Spiel mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit sehr gut und hat mich sehr berührt.

Trans Euphorie

Am meisten bewegt hat mich schlussendlich sogar der kürzeste der fünf Filme: «The Personal Things» (Tourmaline, 2019). Der dreiminütige Animationsfilm zeigt ein Interview mit Miss Major Griffin-Gracy, einer älteren trans Aktivistin und zentralen Figur der U.S.-amerikanischen trans Community. Wir erfahren, wie Miss Major für sich selbst die Kraft findet, ihre aktivistische Arbeit immer wieder in Angriff zu nehmen und für ihre Rechte und Anerkennung als trans Frau zu kämpfen:


I want people to know I am a transgender person and love me for that. (…) You have to find your way to strike back».

The Personal Things von Tourmaline, Filmstill, 2019.


Miss Major erzählt vom Glück und der Stärke, die sie aus ihrem Alltag als trans Frau schöpft. So erlebt sie eine unbändige Freude, als sie eine junge trans Frau zum Bus rennen sieht. Eine alltägliche Situation, die für sie selbst nicht möglich war. «You don’t even look at the front door when the sun is out», umschreibt Miss Major die Wirkung der von ihr erlebten Repressionen, als sie noch jung war. Damals drohten trans Menschen lange Haftstrafen, wenn sie sich nicht so anzogen, wie es der gesellschaftlichen Norm für ihr zugeschriebenes Geschlecht entsprach. Die bestärkende Euphorie von Miss Major über die junge Frau, die an diesem Tag unbehelligt zum Bus rennen kann – ein eindrückliches Bild von Freude an der für sich und andere erkämpften Freiheit, das in mir noch lange nachwirkt.

Das Kämpfen für sich und andere und die gleichzeitige Sorge und Liebe zu sich selbst sind für mich zentrale Punkte der Kurzfilme, die das Leben von marginalisierten Menschen und konkret der dargestellten trans Personen of Color kennzeichnen. Durch das filmische Teilen dieser Erfahrungen wird eine Verbindung, eine Allianz geschaffen – ein Raum für neue Möglichkeiten, um kritisch über die weissen cis-heteropatriarchalen Normen unserer Gesellschaft nachzudenken, sie infrage zu stellen und mutig darüber hinaus zu träumen.



Sophie Bürgi ist als Schulbesucherin von ABQ unterwegs, um mehr Wissen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in die Schweizer Schulzimmer zu bringen. Sie hat Geschlechterforschung und Deutsche Literaturwissenschaft an der Uni Basel studiert und arbeitet hauptberuflich in der Kommunikation.


Beitragsbild: Don’t Look into the Sun von Raphael Reichert, 2020.

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