Geschlechterforschung, Kunst, Veranstaltung

Kunst, Markt und Elternschaft

Von Dominique Grisard


«Ich mache es wie Thomas Mann…». Kunst, Markt und Geschlecht

Während sich die Mitstreiter*innen der Kunst+Care Initiative im Rahmen des Feministischen Streiks auf dem Theaterplatz mit Superheld*innen-Kostümen und farbigen Plakaten für die Vereinbarkeit von Carearbeit und Kunstarbeit stark machten, diskutierten am 14. Juni drei namhafte Künstler*innen an den Art Conversations der Kunstmesse Art Basel über «Shifting Mindsets. Welcoming Parenthood in the Art World». In der Vergangenheit wurden Elternschaft und erfolgreich Künstler*in sein als unvereinbar betrachtet, hiess es im Begleittext, der fragt: «Ist die heutige Kunstwelt unterstützender für Eltern?» Diskutiert haben die in Berlin lebende Künstlerin Andrea Büttner, derzeit mit der Ausstellung Der Kern der Verhältnisse im Kunstmuseum Basel | Gegenwart zu sehen, die in New York ansässige Künstlerin Camille Henrot und der in Basel lebende Künstler Basim Magdy. Moderiert wurde das Gespräch von Emily Butler, Kuratorin der Art Conversations. Butler stellt Eingangs fest, dass es dieses Jahr darum gehe, an den Erfahrungen der Kunstschaffenden anzuknüpfen, statt Elternschaft aus Perspektive des Kunstbetriebs zu betrachten. Letzteres sei bereits in einem der Vorjahre Thema einer Art Conversation gewesen. Ausserdem gehe es darum, Elternschaft nicht immer nur defizitär zu betrachten, als Mangel, Hürde oder Problem derer, die sich dafür entschieden haben. So weit so gut.  

Auf Butlers Frage, wie Elternsein ihre Kunst inspiriert habe, antworten die drei Gäste sehr unterschiedlich. Henrot unterstreicht, wie ihre Erfahrungen von (Fehl-)Geburt, Mutterschaft, Mutter-Kind-Abhängigkeit, Fürsorgearbeit und den damit verbundenen Affekten Scham und Ekel in ihre Kunst einfliessen. Ihren bewussten Bezug zu «Mutterschaft» reflektiert sie dabei: Sie wolle nicht essentialisieren, doch sie wolle betonen, dass sich Erfahrungen, gesellschaftliche Erwartungen und Bilder von «Mutterschaft» deutlich von jenen zu «Vaterschaft» unterscheiden. 

Es macht einen Unterschied, ob mensch sich als «Mutter» oder als «Vater» in ein Verhältnis zur Figur des Künstlers (er/sein) setzt. Im Verlauf des Gesprächs wird das immer deutlicher. Butler fragt als zweites Basim Magdy, wie seine Kunst von seinen Kindern inspiriert werde. «Papa, was wäre, wenn uns nur ein Wort zur Verfügung stünde, um alle Gefühle der Welt auszudrücken?» Das Wort: Banane. Die Sprache: Bananisch. Magdys Augen leuchten, als er erzählt, wie ihn diese kindliche Idee zu einem Film anregte, von dem er uns lange Abschnitte vorführt. Spoiler Alert: Das Wort «Banane» kommt sehr häufig vor. Kinder und ihre freie Fantasie, so die Botschaft, sind eine Bereicherung für das Kunstschaffen, beflügeln die Kunst. Ohne Ende.

Endlich fragt die Moderatorin auch Andrea Büttner, die dritte Künstlerin dieser Gesprächsrunde, nach dem Inspirierenden von Elternschaft. Die ironische Antwort: «Ich mach es wie Thomas Mann. Ich habe fünf Kinder. Tagsüber schreibe ich. Sie sind leise. Am Abend lese ich ihnen mein neues Kapitel vor. Sie applaudieren.» Büttners Persiflage des «genialen» Künstlers (er/sein) bringt mich zum Lachen und beruhigt mich ein wenig. Die Richtung des Gesprächs hatte Unmut, Unbehagen und Ungeduld in mir ausgelöst. Warum nicht von Anfang an deutlich machen, dass ein Grosssteil der Künstler (er/sein) schon immer Väter waren/sind und es dafür bis jetzt keines «shifting mindsets» bedurfte?


«Es gibt gute Künstler, die Kinder haben. Sie heissen Männer»

So der berühmt-berüchtigte Spruch der englischen Künstlerin Tracey Emin. Wie viele namhafte Künstlerinnen* vor ihr ist sie der Überzeugung, die eigene Kunst werde durch Mutterschaft kompromittiert. Sie habe dreimal abgetrieben, erklärt Martina Abramovic 2016 dem Tagesspiegel auf die Frage, ob sie nie Kinder haben wollte: eine Frage, die Künstlern (er/sein) wohl selten gestellt wird. Ihre Kunst bedürfe ihrer vollen Energie, ergänzt Abramovic. Als Mutter hätte sie diese teilen müssen. Die seit den 1970er Jahren erfolgreiche Konzeptkünstlerin verkörpert die Figur des genialen, ja getriebenen Künstlers, der nicht anders kann, als sich mit Haut und Haaren der Kunst zu verschreiben.

Tatsächlich fällt es Kulturschaffenden schwer, sich in ihrem Selbstverhältnis als Eltern UND Künstler*innen zu begreifen. Denn das Idealbild des Künstlers ist ein aus sich selbst Kreativität schöpfendes, von familiären Verbindungen, Verbindlichkeiten und Sorgearbeit entbundenes Genie. Verantwortung und Fürsorgearbeit für andere haben da keinen Platz. «There is no more sombre enemy of good art than the pram in the hall,» schrieb 1938 der Schriftsteller Cyril Connolly. Seine Aussage nahmen 2009 Künstler*innen zum Anlass, sich als «enemies of good art» zusammenzuschliessen und zu zeigen: es gibt sie, die Künstler*innen, die Care und (gute?!) Kunst unter einen Hut bringen. Unter einen Hut bringen heisst aber noch lange nicht, aus den Care-Verhältnissen inspiriert, anerkannt und allseits gestärkt hervorzugehen. 


«Ist es nicht Zeit, dass wir Mutterschaft nicht als Hindernis, sondern als ‹Kapital› für die Kunstwelt anschauen?», 

fragt Nikoleta Sekulovic im Lifestyle Magazin AnOther und plädiert für «The Contemporary Women Artists Reclaiming Motherhood». Bezeichnend ist hier die Wortwahl ‹Kapital›. Denn neben der Demontage des vergeschlechtlichten Bilds des Künstlers ist die Logik des Kunstmarkts richtungsgebend für eine Verschiebung des «mindsets», bzw. der Perspektive. Unter welchen Bedingungen bedeuten Care-Verpflichtungen kein vorzeitiges Karriere-Ende, sondern ernten Anerkennung? Aber auch: Wann ist es Künstler*innen möglich, Erfahrungen, Vorstellungen und Bilder von Elternschaft und Carearbeit zu thematisieren und zu transformieren? Camille Henrot nutzt ihre arrivierte Stellung im Kunstmarkt (Henrot wird von zwei der wichtigsten Galerien auf dem aktuellen Kunstmarkt vertreten), um traumatisierenden Aspekten von Schwangerschaft, Mutterschaft und Abhängigkeit Sichtbarkeit und Anerkennung zu verleihen – sei dies durch ihre Kunst oder in Interviews und Gesprächsrunden. 

Andrea Büttner verweist mit bissiger Ironie auf den Doppelstandard des genialen Künstlers (er/seine applaudierenden Kinder) und der kompromittierten Künstlerinnen*. Was wäre, wenn Careverantwortung als selbstverständlicher Bestandteil des Kunstschaffens betrachtet würde und Carearbeit automatisch von Galerien, Museen und Veranstaltern in ihre Anfragen und Budgets miteinbezogen würde? Was wäre, wenn Künstler*innen nicht immer in die Position der Bittsteller*innen versetzt würden, der vermeintlichen Ausnahme, der Rolle der komplizierten Diva, die sich Spezialkonditionen ausbedingt, ja sich anmasst, Partner und/oder Kinder mitzubringen oder Kinderbetreuung einzufordern? Ein solch strukturelles Umdenken wünscht sich Andrea Büttner. Wie die Manifeste von «enemies of good art» oder Kunst+Care zeigen, ist sie nicht die Einzige, die die Vorstellung des Künstler-Genies demontieren und beharrlich andere Bilder und Praxen der (Für-)Sorge und Vernetzung entwickeln und aufzeigen.


«Gebrauchtwerden». (Für-)Sorge in der bildenden Kunst

Zum Beispiel Gina Folly mit ihrer Ausstellung Autofokus im Kunstmuseum Basel | Gegenwart. Folly vernetzt sich mit Pensionär*innen, die sich im Verein Quasi Tutto engagieren und mit ihrer langjährigen handwerklichen, technischen, sozialen, pädagogischen oder kaufmännischen Erfahrung Anderen unter die Arme greifen. «Wir besorgen versorgen entsorgen fast alle Ihre Sorgen» steht auf der Homepage des Thalwiler Vereins. Gina Folly ist aus Thalwil und hat die Vereinsmitglieder beim Verrichten ihrer Arbeit begleitet und fotografiert. Mit einer Analogkamera, denn diese hat in der heutigen Fotografie längst ausgedient: Ein bisschen wie die pensionierten Menschen, die in unserer Gesellschaft meist nur noch als Bürde oder Last betrachtet werden, wenn sie überhaupt wahrgenommen werden. Doch wir alle haben ein «Bedürfnis, gebraucht zu werden», betont die Künstlerin in einem Interview in der anlässlich der Art Basel 2023 zum ersten Mal erschienenen Bebbi Zine. Folly macht mit ihrer Arbeit auf die lange Tradition kollektiver Sorgearbeit älterer Menschen aufmerksam, auf die viele jüngere Menschen und Familien angewiesen sind. Damit richtet sie den Blick auf unsere Gesellschaft insgesamt und auch auf sich: «Autofokus» bedeutet in diesem Sinne Selbstreflektion, sich Zeit zu nehmen, um über als unveränderlich wahr_genommene Strukturen nachzudenken und diese ein Stück weit zu verrücken.

Genau dazu werden auch die Besuchenden der Ausstellung eingeladen. Auf einer der Parkbänke mit dem Logo von Fujicolor, gefundene Objekte einer vergangenen Zeit, können sie sich ausruhen. Die Parkbänke sind Skulpturen und Nutzobjekte zugleich. Denn auch Sitzen und Ausruhen ist ein Bedürfnis aller, auch wenn unsere Gesellschaft dies nur älteren Menschen zugesteht, ja sie sogar darauf symbolisch festnagelt: auf der Parkbank. Ruth Buchanan nannte die von ihr eigens für die Einzelausstellung «Heute Nacht geträumt» entworfenen Sofas «Priorities» und machte damit deutlich, wie wichtig es ist, zu verweilen, sich auszuruhen, die Kunst setzen zu lassen, aber auch aus dem Fenster zu schauen, sich zu verorten und «nichts» zu tun.

Werkserie «Quasitutto» und «Bank III (Fujifilm)» von Gina Folly, 2023.  «Gina Folly. Autofokus», Ausstellungsansicht im Kunstmuseum Basel | Gegenwart, 2023. Photo: Emanuel Rossetti. ©Gina Folly


Sitzmöglichkeiten an erster Stelle zu setzen, erlaubt einen Perspektivenwechsel und rückt die Bedürfnisse derer ins Zentrum, die sich in den Räumen des Museums bewegen oder bewegen können sollten – seien sie Museumsangestellte, Besuchende oder Kunstschaffende. Auch die aktuelle Ausstellung von Andrea Büttner setzt diese Tradition mit eigens entworfenen Sitzbänken fort. Sie lassen die Trennung zwischen Kunst und Care, Kunstobjekt und Nutzobjekt verschwimmen und legen den Finger auf die Bedingungen des Kunstschaffens und –erfahrens: eine Form von «Art Care», die nicht wie üblich um das Konservieren und Schützen wertvoller Kunstobjekte besorgt ist, sondern um den fürsorglichen Umgang mit all denjenigen, die am kreativen Prozess beteiligt sind oder beteiligt sein können sollten.


«Wer ist nicht in diesem Raum?» Bedingungen der Zugänglichkeit 

Für Hybrid Project Space, einem Basler Kollektiv, ist (Für-)Sorge selbstverständlicher Bestandteil einer vielfältigen, inklusiven und machtkritischen Ausstellungspraxis. Im Rahmen des Basel Social Club, einem während der Art Basel auf dem Thomi & Franck Areal kostenlos zugänglichen Kunst- und Begegnungsort, haben sie «This is not a Guidebook» entwickelt. Der handliche anti-guide lädt Besuchende von Kunstaustellungen und -institutionen ein zum Innehalten, die Umgebung bewusst(er) wahrzunehmen, Gegebenheiten und Sachzwänge in Frage zu stellen und auch mal die Perspektive zu wechseln, Empathie für andere(s) zu haben, kurz: eine Praxis der Achtsamkeit zu entwickeln.

Wer ist nicht in diesem Raum? Fühlst du dich klein in diesem Raum?» 

Der anti-guide stellt vermeintlich harmlose Fragen, die (Kunst-)Raum für neue Beobachtungen, Empfindungen, Bedürfnisse und Gefühle öffnen: 

Was willst du jetzt gerade?» 

Ich wünsche mir Kaffee, relaxen und frische Luft. Care wird zu einer Haltung, die sich den Gewohnheiten und Erwartungen in Kunsträumen entgegenstellt und unsere Wahrnehmung schärft – auch über das Gegebene hinaus, hin zum Möglichen. Ich wünsche mir, dass wir unsere Gewohnheiten und Erwartungen an die Kunst ein Stück weit verlernen, Cunst und Kare konstitutiv zusammendenken und Bedingungen schaffen, die Kunstschaffen und Kunsträume für möglichst viele/alle Menschen öffnen. Und dass wir nicht aufhören, Fragen zu stellen, ja bereit sind, unsere eigenen Annahmen immer wieder kritisch zu reflektieren. 

Schau dich ein letztes Mal um: Ist Zeit, Luft, Arbeit, Hardware, Kuration, Kunstgeschichte, Kapitalismus, Identität, Geld, Philanthropie, Kunstschaffende Person, Sprache, Verhalten, Kritik, Sonnenlicht sichtbar? Was ist unsichtbar?» 


Dieser Beitrag ist Teil des Schwerpunkts «Vereinbarkeit in der Kunst». Die Frage nach Un-/Sichtbarkeit von Sorgeverhältnissen ist seit längerem ein inhaltlicher Schwerpunkt von art of intervention und dient als Ausgangspunkt für den von aoi organisierten Kuratorinnen*workshop «Curating Difference – different curating?», der am 4. Dezember 2023 im Kunstmuseum Basel stattfindet.


Beitragsbild: «Spargel» von Andrea Büttner, 2021.  «Andrea Büttner – Der Kern der Verhältnisse», Ausstellungsansicht im Kunstmuseum Basel | Gegenwart, 2023. Photo: Max Ehrengruber (Ausschnitt). ©Andrea Büttner & ProLitteris, Zurich; Courtesy Galerie Tschudi and the artist.

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